Verschiedene zivilgesellschaftliche Initiativen haben die digitale Gesellschaft selbst zum Thema des Engagements gemacht. Sie widmen sich der Netzpolitik, den gesellschaftlichen und politischen Folgen der Digitalisierung. Aspekte wie der Schutz der Privatsphäre, Grundrechte und Verbraucher*innenschutz im digitalen Raum sowie verschiedene Schwerpunkte rund um die Digitalisierung sind zentrale Themen von Initiativen oder gemeinnützigen Organisationen wie zum Beispiel Digitale Gesellschaft, Digitalcourage oder TINCON, die in den letzten Jahrzehnten aufgekommen sind.
Mitgestaltung der Digitalisierung durch die Zivilgesellschaft
Ein relativ neuer Ansatzpunkt zivilgesellschaftlichen Engagements ist die gemeinwohlorientierte Mitgestaltung des digitalen Wandels. Digitale Informations- und Kommunikationstechnologien sind nicht nur Werkzeuge, die neue Möglichkeiten der Vernetzung und Organisation bieten, sondern bringen auch Bemühungen zur Mitgestaltung der Digitalisierung hervor und werden zum Gegenstand des Engagements.
Denn die Digitalisierung hat neue Themenfelder entstehen lassen, die insbesondere bei jungen Menschen zum selbstverständlichen Teil der Lebenswelt geworden sind und aus ihrer Sicht nicht allein der Gestaltung durch Politik und Wirtschaft überlassen werden sollten (BMFSFJ, 2020, S. 92). Stattdessen besteht der Anspruch, die gesellschaftlichen Bedürfnisse und Ansprüche an die Gestaltung der digitalen Infrastruktur selbst auszuloten (Beining, 2017). Das Engagement richtet sich dabei neben der Entwicklung von Civic Tech (nähere Informationen siehe Artikel Entwicklung und Vermittlung von Technologien) auch auf das Feld der Netzpolitik. Zivilgesellschaftliche Akteur*innen verbinden ihr technisches Know-how dabei mit gemeinwohlorientiertem Denken und Handeln und motivieren in innovativen Projekten junge Menschen zur Mitgestaltung und Vermittlung der digitalen Kultur. Dabei sind individuelle Akteur*innen gleichermaßen involviert wie lose Netzwerke oder formelle Engagement-Organisationen. Diese Entwicklungen weisen auf einen neu entstandenen Engagementbereich hin, der Digitalisierung nicht nur nutzt, sondern selbst zum Thema hat und maßgeblich von der „Kraft der kollektiven Intelligenz, die sich aus geteiltem Wissen und Erfahrung speist” (BMFSFJ, 2020, S. 136) geprägt wird.
Netzpolitische Initiativen: Positionen vermitteln und Visionen vorantreiben
Betrachtet man die jüngere Geschichte der Engagement-Organisationen, so zeigt sich die Entstehung von „digitalen Vorfeldorganisationen“ (Bieber, 2014) bzw. „digitalen Spezialisten” (Rasmussen, 2019), die als Vorreiter für digitales netzpolitisches Engagement zu verstehen sind. Anlass für ihre Gründung waren meist fortschreitende Entwicklungen digitaler Technologien und deren gesellschaftlichen Auswirkungen. Netzpolitik umfasst die Auseinandersetzung mit netzkulturellen, medienpolitischen und medienrechtlichen Fragen.
Neben jungen Organisationen sind auch schon lang bestehende Verbände netzpolitisch aktiv. Allerdings zeigen sich jüngere Organisationen im Schnitt sehr viel technologieaffiner als bereits im 20. Jahrhundert gegründete (Dufft und Kreutter 2018, S. 110). Als Impulsgebende wenden sie sich oft mit konkreten Forderungen an Wirtschaft und Politik und gestalten die digitale Zukunft mit, indem sie ihre Positionen vermitteln und Visionen vorantreiben. Ein Beispiel solchen zivilgesellschaftlichen Engagements ist der Verein Digitale Gesellschaft, der sich für Grundrechte und Verbraucher*innenschutz im Bereich der Netzpolitik engagiert. Digitale Gesellschaft bringt sich bei gesellschaftlichen Diskussionen ein, etwa beim Netzwerkdurchsetzungsgesetz, bei der Urheberrechtsreform oder bei der Regulierung von Algorithmen. Auch die journalistische Informationsplattform netzpolitik.org widmet sich netzpolitischen Themen wie staatlicher Überwachung, informationeller Selbstbestimmung im Internet oder Open-Source-Software. Mit der konstruktiven und kreativen Mitgestaltung der sich durch die Digitalisierung verändernden Zivilgesellschaft befasst sich D64 – Zentrum für Digitalen Fortschritt. Netzpolitische Initiativen bieten mit regelmäßigen Treffen und Stammtischen unterschiedlichste Netzwerkmöglichkeiten an. Weil der Netzwerkaspekt bei netzpolitischen Initiativen eine zentrale Rolle spielt, kommt es auch vor, dass sie in bestimmten Angelegenheiten untereinander strategische Allianzen bilden. Das zeigt sich beispielsweise bei gemeinsam unterzeichneten offenen Briefen mit Forderungen an die Politik, so geschehen bei der Debatte um die Einführung sogenannten Uploadfilter (European Digital Rights, 2020).
Stärkung der gesellschaftlichen Teilhabe junger Menschen
Einen größeren Rahmen für die Thematisierung digitalpolitischen Engagements bieten innovative Veranstaltungen wie die TINCON. Die TINCON ist ein internationales Festival digitaler Internetkultur mit dem Ziel, Jugendliche zu mehr gesellschafts- und netzpolitischer Teilhabe zu inspirieren, zu motivieren und zu befähigen (TINCON, o. J.). Vereine wie TINCON e.V. wollen die Zivilgesellschaft darin unterstützen, im Umgang mit digitalen Themen handlungsfähiger zu werden und an der Gestaltung der vernetzten Gesellschaft mitzuwirken. Bei der Themenfestlegung, Programmplanung und Organisation wird daher eng mit der jungen Zielgruppe zusammengearbeitet, Jugendliche sind unter anderem Teil des Programmteams.
Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch das Projekt Jugend hackt. Hier werden regelmäßig Hackathons für Jugendliche im Alter von zwölf bis 18 Jahren zur Förderung des Programmiernachwuchses veranstaltet und von ehrenamtlichen Mentor*innen begleitet. Bei den Hackathons werden Jugendliche ermutigt, sich mit Technik auseinanderzusetzen und sie für gemeinwohlorientierte Zwecke einzusetzen. Die Vermittlung von Medienkompetenzen, die Befähigung, Technik zu nutzen und sich der Dynamik des technischen Fortschritts anzunehmen, sind kennzeichnende Merkmale von zivilgesellschaftlichen Initiativen, die sich daran ausrichten, die gesellschaftliche Teilhabe junger Menschen zu fördern. Veranstaltende von Formaten wie der TINCON oder Jugend hackt denken viele Kompetenzfacetten in Projektansätzen kreativ mit und „zeigen ein großes Potenzial, Zielgruppen durch ungewöhnliche und interaktive Ansätze zu mobilisieren und zu ‚empowern‘“ (Rasmussen, 2019, S. 114).
Spezialist*innen der Digitalisierung
Die Etablierung eines Engagementbereichs, in dem sich zivilgesellschaftliche Akteur*innen als digitale Spezialist*innen mit der Gestaltung der Digitalisierung auseinandersetzen, bedeutet in vielfacher Hinsicht eine Bereicherung für die Zivilgesellschaft: Engagementinitiativen, deren Fokus auf der Digitalisierung liegt, tragen zur Steigerung der Medien- und Informationskompetenz von Bürger*innen bei. Sie setzen sich in netzpolitischen Debatten für die Grundrechte und den Verbraucher*innenschutz ein, bestärken und befähigen Bürger*innen im Umgang mit digitaler Technik und eröffnen auf diese Weise neue Erfahrungshorizonte (BMFSFJ 2020). Die Engagierten in Vereinen wie Digitale Gesellschaft, Digitalcourage oder in der TINCON verbinden dabei technisches Know-how mit gemeinwohlorientiertem Denken und Handeln. Sie wollen gemeinsam gesellschaftliche Bedürfnisse und Ansprüche an die Gestaltung der Digitalisierung ausloten und stärken durch ihr Engagement demokratische Aushandlungsprozesse, Chancengerechtigkeit, soziale Teilhabe und schließlich den gesellschaftlichen Zusammenhalt.